Als Georgi K. aus Berlin am frühen Morgen zu seinem Auto geht, ist es nicht mehr dort, wo er es zuvor abgestellt hatte. Bei der Suche nach seinem Fahrzeug stellt sich heraus, verantwortlich ist keine Diebesbande. Das Fahrzeug wurde ohne jeglichen Grund abgeschleppt, um überhöhte Abschleppkosten zu kassieren. Kein Einzelfall. Inzwischen ermittelt die Polizei. Die Hintergründe der vermeintlichen Abzocke lesen Sie hier.
Dutzende Autos abgeschleppt
Kein Autofahrer freut sich, wenn sein Auto abgeschleppt wird. Denn damit sind hohe Kosten und ein großer Zeitaufwand verbunden. Insbesondere, wenn es sich um einen vermeintlichen Betrug handelt.
Eine neue Form des Kidnappings? Beim sogenannten „Car-napping“ werden legal abgestellte Kraftfahrzeuge ohne jeglichen Grund abgeschleppt. Erst nach der Bezahlung von überhöhten Rechnungen erfahren Fahrzeughalter, wo sich ihre Autos befinden. In Berlin gibt es inzwischen dutzende Opfer.
Georgi K. ist einer von ihnen. Dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) berichtet er seine Erlebnisse im Zusammenhang der „Entführung“ seines Fahrzeuges. Er ist am Morgen des 1. Juni auf dem Weg zu seinem Auto. In der Nacht zuvor hatte er es auf einem Supermarktparkplatz abgestellt – also einem Privatgrundstück. Doch dort war es nicht mehr vorzufinden. Bei seinem Auto handelt es sich um ein älteres Modell ohne GPS. Und demzufolge war es über das System auch nicht zu orten. Es blieben nur zwei Möglichkeiten: Es wurde gestohlen oder im Auftrag des Supermarktes abgeschleppt.
Polizei gibt Auskunft
Georgi K. wendet sich zunächst an die Polizei. Die Beamten checken sein Kennzeichen in einer Datenbank und bestätigen, dass das Auto umgestellt wurde. Und weiter: Eine private Abschlepp-Firma sei dafür verantwortlich. Alles Weitere wäre, laut der Beamten, nur mit der Firma zu klären. Die Kontaktdaten der Firma teilen sie ihm gleich mit.
Das ist tatsächlich das Standardverfahren, wenn ein Pkw im privaten Auftrag – also nicht im Auftrag von Ordnungsamt oder Polizei – abgeschleppt wird. Der Rundfunksender rbb erläutert die Verfahrensweise: „Bei der zentralen ‚Auskunfts- und Fahndungsstelle‘ der Polizei sind private Abschleppfirmen registriert. Diese können - müssen aber nicht - melden, welches Fahrzeug sie umgesetzt haben. Ruft dann ein Autohalter an, der sein Fahrzeug vermisst, kann ihm die Polizei den Namen der zuständigen Firma nennen“.
Erste Anzeichen eines Betrugs
Georgi K. wollte jedoch zuerst mit dem Geschäftsführer des Supermarktes sprechen. Er will von ihm wissen, ob er das Abschleppen in Auftrag gegeben hat. Zuvor gab es nie Probleme mit dem Parken auf dem Parkplatz. Doch so früh am Morgen ist er nicht erreichbar. Deshalb wendet sich Georgi K. direkt an das angeblichen Abschleppunternehmen. Zu seiner Überraschung wollte dieses jedoch nur per WhatsApp kommunizieren. In einer Mitteilung über diesen Kanal fordert die Firma über 476 Euro für entstandene Kosten. Erst nach einem Zahlungseingang werde ihm der Standort seines Autos mitgeteilt, heißt es dort weiter. Ihm kommt diese Summe viel zu hoch vor, denn im Internet findet er heraus, dass private Abschleppunternehmen normalerweise nur um die 220 Euro fordern dürfen.
Erst Zahlung, dann Standortbekanntgabe
Nachdem Georgi K. sich über die Summe aufgeregt hatte, zahlte er dennoch den angeforderten Betrag. Im Gespräch mit dem rbb sagt der Betroffene: „Schließlich lief das über die Polizei, in die ich – bis dahin – großes Vertrauen hatte“. Nach der Zahlung wird ihm der Standort seines Autos mitgeteilt. Erst danach erreicht er den Filialleiter des Supermarktes. Dieser versichert ihm, keinen Abschleppdienst beauftragt zu haben.
Nun will er eine Anzeige erstatten: „Aber die Beamten wollten die erst gar nicht aufnehmen. Das müsse ich zivilrechtlich mit dem klären, der für das Abschleppen verantwortlich sei“. Als Georgi jedoch beweisen konnte, dass es keinen Auftrag zum Umsetzten des Kraftfahrzeuges gab, hörten ihm die Polizisten zu.
Nach dem Vorfall häuften sich die Beschwerden über das angeblich ‚legitime‘ Unternehmen.
Dreiste Vorgehensweise lässt das Unternehmen auffliegen
Polizeisprecherin Anja Dierschke verrät dem rbb die Ausmaße des vermeintlichen Betrugs: Oftmals während der Nacht, Anfang Juni, hat das Abschleppunternehmen „in einem recht kleinen Radius, ausschließlich in Spandau, 58 Autos ohne Auftrag umgesetzt – und jedes Mal 476 Euro als Voraussetzung gefordert, dass sie den Standort nennt“.
Am 8. Juni wird die angebliche Chefin des Unternehmens von den Kriminalbeamten auf frischer Tat ertappt. Sie ist gerade dabei, ein weiteres Fahrzeug umzusetzen. Die Polizei berichtet, dass die Gruppe auch Kraftfahrzeuge abschleppt, die nicht im Park- oder Halteverbot standen.
Beamte als ungewollte Komplizen
Offenbar ist die zentrale Auskunftsstelle dabei unfreiwillig zum vermeintlichen Komplizen der Betrüger geworden. Denn diese überprüft in der Regel nicht, ob ein Auto auch zurecht abgeschleppt wurde. Anja Dierschke bestätigt das gegenüber dem Sender rbb: „Das ist in dem Prozedere nicht enthalten. Bei unserer Vermittlung handelt es sich lediglich um eine gut gemeinte Serviceleistung, damit Autofahrer ihr Fahrzeug schneller wiederfinden“. Die Opfer fragen zurecht: Hat das Unternehmen diese Lücke im System ausgenutzt?
Ermittlungen dauern an
Die Berliner Zeitung berichtet: „Die Ermittlungen zu den mutmaßlichen Abschleppbetrügern hat inzwischen das Landeskriminalamt übernommen“. Laut einer Sprecherin der Kriminalpolizei wird wegen Nötigung und Erpressung ermittelt.
Weiterhin soll die Polizei für solche Versuche sensibilisiert werden, um weitere mutmaßliche Betrugsversuche zu verhindern. Konkrete Maßnahmen werden aus polizeitaktischen Gründen nicht genannt.
Anja Dierschke von der Berliner Polizeibehörde rät Autofahrern, die von einem privaten Gelände abgeschleppt wurden, aufmerksam zu sein: „Wenn man unter hohem Zeitdruck zahlen soll und erst dann würde der Aufenthaltsort des Autos genannt, sollte man definitiv misstrauisch werden und sich dann an die Polizei wenden.“
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Quellen: berliner-zeitung.de, rbb24.de