Warum Höflichkeit im Straßenverkehr zu Unfällen führen kann
Mut zur Lücke? Verkehrsteilnehmer müssen beim Überholen einer zähfließenden Fahrzeugkolonne damit rechnen, dass diese eine Lücke für aus einer kreuzenden Straße einfahrende Fahrzeuge freilässt. Wer dies ignoriert, kann nach der sogenannten Lückenrechtsprechung bei einem Unfall zu 25 Prozent mithaften. Dies gilt jedoch nicht, wenn es sich um einen stehenden Lkw anstelle einer Kolonne handelt, so ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH).
Szenario I: Stockende Kolonne überholen
Man stelle sich folgende, für den Stadtverkehr typische Situation vor: Auf dem rechten Fahrstreifen einer zweispurigen Vorfahrtsstraße stauen sich die Fahrzeuge vor einer nicht bevorrechtigten Kreuzung. Ein dahinter fahrender Pkw entschließt sich, diese gerade gebildete Kolonne links zu überholen.
Gleichzeitig nähert sich ein weiteres Fahrzeug aus der kreuzenden Straße, dem die Fahrzeugführer der Kolonne eine Lücke zum Durchfahren gelassen haben. Es kommt zum Zusammenstoß zwischen dem überholenden und dem ausfahrenden Fahrzeug. Aber wer haftet nun für den Schaden?
Lückenrechtsprechung und „gefährdende Höflichkeit“
Man könnte nun davon ausgehen, dass der Fahrer des aus der kreuzenden Straße kommenden Fahrzeuges zu einhundert Prozent schuld ist. Schließlich wurde hier die Vorfahrtregelung der Straßenverkehrsordnung (in § 8 Abs. 2 Satz 2) missachtet, wonach ein nicht vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug nur dann in eine Straße einfahren darf, wenn dadurch andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werden.
Die sogenannte Lückenrechtsprechung kommt unter Berufung auf den ersten Paragrafen der StVO auf ein anderes Ergebnis. Da im Straßenverkehr gegenseitige Vorsicht und Rücksichtnahme oberstes Gebot sind, muss auch der Vorfahrtsberechtigte beim Überholen einer stockenden Kolonne damit rechnen, dass aus einer „gewährten“ Lücke ein Fahrzeug herausfahren kann. Übersieht der Überholende diese Lücke und es kommt zum Unfall, trägt er in der Regel eine Mitschuld von meist 25 Prozent.
Im Verkehrsrecht wird dieses Gewähren einer Lücke auch als „gefährdende Höflichkeit“ bezeichnet. Denn die Freude über den „höflichen“ Vorfahrtsverzicht der stockenden Fahrzeuge kann jäh enden, wenn man ein drittes, überholendes Fahrzeug übersieht und mit ihm kollidiert.
Szenario II: Stehender Lkw
Was aber, wenn es sich bei der zähfließenden Kolonne um einen stehenden Lkw handelt? Mit dieser Frage hat sich der BGH in einem aktuellen Urteil auseinandergesetzt. Die Verkehrssituation stellte sich wie folgt dar:
Am rechten Fahrbahnrand parkte ein Pkw, daneben war ein Lkw zum Stehen gekommen. Die beiden Fahrzeuge befanden sich unmittelbar vor der Einfahrt zu einem Betriebsgelände einer Firma. Der Fahrer des parkenden Pkw wollte ausparken und auf der gegenüberliegenden Straßenseite wenden. Dabei kollidierte er mit einem anderen Pkw, der links an dem haltenden Lkw vorbeifuhr.
BGH: Lückenrechtsprechung nicht immer anwendbar
Das Landgericht (LG) Nürnberg Fürth entschied sich in erster Instanz für die Anwendung der Lückenrechtsprechung. Es wies dem ausparkenden und wendenden Fahrzeug eine Haftung von 75 Prozent und dem überholenden Pkw eine Mithaftung von 25 Prozent zu.
Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg und der Bundesgerichtshof hoben dieses Urteil jedoch wieder auf, da die Lückenrechtsprechung ihrer Ansicht nach nur im Falle einer stockenden Kolonne und nicht bei einem stehenden Lkw angewandt werden dürfe.
Die Lückenrechtsprechung gebe es, da beim Überholen einer zähfließenden Autoschlange immer die Gefahr bestehe, dass andere Pkw die Vorfahrtsregeln missachten oder auf ihre Vorfahrt „aus Höflichkeit“ verzichten. Zudem bestehe jederzeit die Gefahr unachtsamer Fußgänger, die die andere Straßenseite erreichen wollen.
Diese Risiken seien bei dem stehenden Lkw aber nicht in gleichem Maße gegeben gewesen, so der BGH. Daher treffe den ausparkenden Pkw die volle Schuld.
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Quellen: rsw.beck.de, lto.de