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Warum Höflichkeit im Straßen­verkehr zu Unfällen führen kann

Mut zur Lücke? Verkehrs­teil­nehmer müssen beim Überholen einer zähflie­ßenden Fahrzeug­ko­lonne damit rechnen, dass diese eine Lücke für aus einer kreuzenden Straße einfah­rende Fahrzeuge freilässt. Wer dies ignoriert, kann nach der sogenannten Lücken­recht­spre­chung bei einem Unfall zu 25 Prozent mithaften. Dies gilt jedoch nicht, wenn es sich um einen stehenden Lkw anstelle einer Kolonne handelt, so ein aktuelles Urteil des Bundes­ge­richtshofs (BGH).

BGH-Urteil
Andrey_Popov / shutterstock.com

Szenario I: Stockende Kolonne überholen

Man stelle sich folgende, für den Stadt­verkehr typische Situation vor: Auf dem rechten Fahrstreifen einer zweispu­rigen Vorfahrts­straße stauen sich die Fahrzeuge vor einer nicht bevor­rech­tigten Kreuzung. Ein dahinter fahrender Pkw entschließt sich, diese gerade gebildete Kolonne links zu überholen.

Gleich­zeitig nähert sich ein weiteres Fahrzeug aus der kreuzenden Straße, dem die Fahrzeug­führer der Kolonne eine Lücke zum Durch­fahren gelassen haben. Es kommt zum Zusam­menstoß zwischen dem überho­lenden und dem ausfah­renden Fahrzeug. Aber wer haftet nun für den Schaden?

Lücken­recht­spre­chung und „gefähr­dende Höflichkeit“

Man könnte nun davon ausgehen, dass der Fahrer des aus der kreuzenden Straße kommenden Fahrzeuges zu einhundert Prozent schuld ist. Schließlich wurde hier die Vorfahrt­re­gelung der Straßen­ver­kehrs­ordnung (in § 8 Abs. 2 Satz 2) missachtet, wonach ein nicht vorfahrts­be­rech­tigtes Fahrzeug nur dann in eine Straße einfahren darf, wenn dadurch andere Verkehrs­teil­nehmer nicht gefährdet werden.

Die sogenannte Lücken­recht­spre­chung kommt unter Berufung auf den ersten Paragrafen der StVO auf ein anderes Ergebnis. Da im Straßen­verkehr gegen­seitige Vorsicht und Rücksicht­nahme oberstes Gebot sind, muss auch der Vorfahrts­be­rech­tigte beim Überholen einer stockenden Kolonne damit rechnen, dass aus einer „gewährten“ Lücke ein Fahrzeug heraus­fahren kann. Übersieht der Überho­lende diese Lücke und es kommt zum Unfall, trägt er in der Regel eine Mitschuld von meist 25 Prozent.

Im Verkehrs­recht wird dieses Gewähren einer Lücke auch als „gefähr­dende Höflichkeit“ bezeichnet. Denn die Freude über den „höflichen“ Vorfahrts­ver­zicht der stockenden Fahrzeuge kann jäh enden, wenn man ein drittes, überho­lendes Fahrzeug übersieht und mit ihm kollidiert.

Szenario II: Stehender Lkw

Was aber, wenn es sich bei der zähflie­ßenden Kolonne um einen stehenden Lkw handelt? Mit dieser Frage hat sich der BGH in einem aktuellen Urteil ausein­an­der­ge­setzt. Die Verkehrs­si­tuation stellte sich wie folgt dar:

Am rechten Fahrbahnrand parkte ein Pkw, daneben war ein Lkw zum Stehen gekommen. Die beiden Fahrzeuge befanden sich unmit­telbar vor der Einfahrt zu einem Betriebs­ge­lände einer Firma. Der Fahrer des parkenden Pkw wollte ausparken und auf der gegen­über­lie­genden Straßen­seite wenden. Dabei kolli­dierte er mit einem anderen Pkw, der links an dem haltenden Lkw vorbeifuhr.

BGH: Lücken­recht­spre­chung nicht immer anwendbar

Das Landge­richt (LG) Nürnberg Fürth entschied sich in erster Instanz für die Anwendung der Lücken­recht­spre­chung. Es wies dem auspar­kenden und wendenden Fahrzeug eine Haftung von 75 Prozent und dem überho­lenden Pkw eine Mithaftung von 25 Prozent zu.

Das Oberlan­des­ge­richt (OLG) Nürnberg und der Bundes­ge­richtshof hoben dieses Urteil jedoch wieder auf, da die Lücken­recht­spre­chung ihrer Ansicht nach nur im Falle einer stockenden Kolonne und nicht bei einem stehenden Lkw angewandt werden dürfe.

Die Lücken­recht­spre­chung gebe es, da beim Überholen einer zähflie­ßenden Autoschlange immer die Gefahr bestehe, dass andere Pkw die Vorfahrts­regeln missachten oder auf ihre Vorfahrt „aus Höflichkeit“ verzichten. Zudem bestehe jederzeit die Gefahr unacht­samer Fußgänger, die die andere Straßen­seite erreichen wollen.

Diese Risiken seien bei dem stehenden Lkw aber nicht in gleichem Maße gegeben gewesen, so der BGH. Daher treffe den auspar­kenden Pkw die volle Schuld.

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Quellen: rsw.beck.de, lto.de