Ein Zebrastreifen vor einer Schule, neue Radwege, Ampel an Gefahrenstellen oder die Sperrung der Friedrichstraße in Berlin. Solche kommunalen Anordnungen hatten vor Gericht – trotz häufigem Zuspruch seitens der Bevölkerung – nur selten Bestand. Denn bei solchen Sachen gilt Bundesrecht. Daran will die Ampelkoalition jetzt etwas ändern. Umwelt-, Klimaschutz und städtebauliche Entwicklungen sollen im Verkehrsrecht berücksichtigt werden.
Das Verkehrsrecht bisher
Am Mittwoch (21. Juni) hat das Bundeskabinett eine neue Reform des Straßenverkehrsrechts beschlossen. Diese soll Kommunen und Ländern einen größeren Spielraum für die Gestaltung des Straßenverkehrs ermöglichen. Die bisherigen Regelungen haben das so gut wie unmöglich gemacht. Denn regelnde Anordnungen im Straßenverkehr waren nur erlaubt, wenn sie der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs dienten. So mussten jegliche Zebrastreifen, Radwege und Tempolimits ausreichend begründet werden. Die StVO schreibt im § 45 Absatz 9 vor:
„Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Dabei dürfen Gefahrzeichen nur dort angeordnet werden, wo es für die Sicherheit des Verkehrs erforderlich ist, weil auch ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auch nicht mit ihr rechnen muss.“
Dementsprechend wurden zuvor eingeführte Initiativen wie zum Beispiel die langfristige Sperrung der Berliner Friedrichstraße für den Autoverkehr oder Pop-up Radwege wieder eingestellt. Denn die jeweiligen Behörden konnten entsprechende Anordnungen dafür nicht ausreichend begründen. Es fehlten unter anderem:
- Unfallstatistiken
- Verkehrszählungen
Somit blockierte die StVO die Verkehrswende und Städtebau.
Bundesregierung bleibt dem Koalitionsvertrag treu
Die Bundesregierung hat bereits bei dem Abschluss des Koalitionsvertrages solche Reformen vorgesehen. Morgenpost berichtet: „Bereits in ihrem Koalitionsvertrag hatten die SPD, Grünen und FDP festgelegt, dass sie die ‚Entscheidungsspielräume‘ der Kommunen und Länder in Verkehrsfragen vergrößern wollen“.
Somit können die Behörden laut lokalo24.de zukünftig leichter Tempo-30-Zonen anordnen. Etwa an folgenden Orten:
- Spielplätzen
- Hochfrequentierten Schulwegen
- Fußgängerüberwegen
Dennoch soll es kein flächendeckendes Tempolimit von 30 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften geben. Verkehrsminister Volker Wissing dazu im Deutschlandfunk: „Die Regelgeschwindigkeit bleibt 50, und eine Ausnahme muss begründet werden. Und die muss auch auf der Grundlage eines Gesetzes begründbar sein. Das verlangt der Verfassungsstaat, und dabei bleibt es“.
Die Linke kritisiert Verkehrsminister Wissing
Die neue Reform soll nun auch dem Klimaschutz dienen. Wo manche einen ersten Schritt in die richtige Richtung sehen, sieht Parteichef der Linken Martin Schirdewan es anders. Er ist der Meinung, dass Wissing wegen unzureichender Fortschritte in der Bekämpfung der Klimakrise ein Wackelkandidat als verantwortlicher Minister sei. „Es stellt sich wirklich die Frage, wie lange Wissing noch Rückendeckung vom Kabinett bekommt. Ein Ministerium ohne diesen Minister ist kein schlechteres, vielleicht wäre es sogar besser für das Klima“ sagte Schirdewan der dpa.
Bedenklich sei die Entscheidung des Verkehrsministers nicht nur aus Klimaschutzgründen. Die Anzahl an tödlichen Unfällen könnte zudem durch eine entsprechende Herabsenkung des Tempolimits innerorts verringert werden. Schirdewan betont: „Wer die Zahl der Verkehrstoten senken will, der muss die Entscheidung über Tempo-30-Zonen den Kommunen überlassen“.
Denkfabrik heißt die Reform gut
Zu denen, die einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung sehen, gehört die Denkfabrik Agora Verkehrswende. Denn laut dem Direktor Christian Hochfeld könnte die Reform die Grundlagen für einen „Modernisierungsschub“ im städtischen Verkehr bilden.
Das sollte auch zu einer faireren Verteilung des öffentlichen Raumes für die jeweiligen Verkehrsteilnehmer führen. Denn: Die jetzigen Verkehrsgesetze und Vorschriften führten in der Praxis oftmals zur Dominanz von Autos im Straßenverkehr.
DUH kritisiert Unklarheiten und verlangt mehr Rechte für die Kommunen
Neben den Linken äußert auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) reichlich Kritik an der neuen Reform. Bemängelt wird dabei der „Versuch der Festschreibung des Primats einer autofreundlichen Stadt“. In einem Bericht der Tageszeitung sagt der Geschäftsführer der DUH Jürgen Resch: „Eine wirkliche Reform des Straßenverkehrsgesetzes ist nicht vorgesehen“. Eben diese sei dringend notwendig und durch eine kleine Änderung in der neuen Novelle auch möglich. Wie genau diese Änderung ausschauen soll, wurde nicht erläutert.
Zudem fordert die DUH noch mehr Rechte für die Kommunen als im vorgestellten Reformvorschlag vorgesehen: „Wir brauchen auch für die kostendeckende und den ÖPNV mitfinanzierende Parkraumbewirtschaftung mehr Rechte für die Stadt. Und auch die Umwidmung von Straßenflächen in geschützte Radwege und Busspuren muss bereits im Straßenverkehrsgesetz geregelt werden“.
Deutscher Städtetag will eine Erprobungsklausel
Auch die Kommunen selbst sehen einen Nachbesserungsbedarf bei der Reform. Thomas Kiel d’Argon, Verkehrsreferent des Deutschen Städtetags betont in einem Bericht der taz: „Unser Wunsch ist, dass wir in die Innovation kommen, damit wir in Änderungsprozesse kommen, die uns voranbringen“. Beispielsweise könnte das in Form einer Erprobungsklausel erfolgen, die Initiativen zum Umweltschutz bei städtebaulichen Entwicklungen erleichtern und damit schneller voranbringen.
Die StVO müsste geändert werden
In der Debatte ist klar geworden: Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) müsste entsprechend des Referentenentwurfs (RefE) angepasst werden. Legal Tribune Online erläutert: „Ohne eine Änderung der StVO findet die Reform nur auf dem Papier statt. Die Neufassung der Verordnungsermächtigung des § 6 des Straßenverkehrsgesetz (StVG) ändert die behördlichen Befugnisse nicht unmittelbar ab“. Die neue Reform beinhaltet zwar Änderung des angesprochenen §6 der StVG. Vielmehr müsste, es eine Forderung an das Bundesministerium für Digitales und Verkehr geben, den § 45 der StVO so zu ändern, dass Kommunen unbürokratisch Folgendes anordnen können:
- Neue Tempolimits
- Zebrastreifen
- Radwege
Zudem weist Juristin Charlotte Heppner auf eine weitere Unklarheit hin: „Einerseits heißt es in der Begründung des RefE auf Seite 6, es sei ‚nicht erforderlich, dass die darauf basierenden verkehrsregelnde Bestimmung auch Zwecke der Verbesserung der Verkehrssicherheit oder der Leichtigkeit des Verkehrs verfolgt. Diese Zwecke können vielmehr außer Acht bleiben“.
Doch im Entwurf des neuen § 6 des StVG heißt es immer noch, dass „neben der Verbesserung des Schutzes der Umwelt, des Schutzes der Gesundheit oder der Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs (zu) berücksichtigen“ sei. Somit gibt es weiterhin Unstimmigkeiten, die im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens noch gelöst werden müssten.
Was sind die nächsten Schritte
Der Reformvorschlag wurde bisher nur vom Bundeskabinett verabschiedet. In der Folge müssen sich Bundestag und auch Bundesrat noch damit beschäftigen. Die entsprechenden Abstimmungen dazu stehen allerdings noch aus. Aber Minister Wissing und sein Ministerium rechnen mit der Umsetzung noch in diesem Jahr. Wie langwierig der Prozess tatsächlich dauern wird, bleibt damit weiter offen.
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Quellen: lto.de, lokalo24.de, morgenpost.de, gesetze-im-internet.de, deutschlandfunk.de, taz.de